Jul 29 / Dr. Sophia Wilk-Vollmann

TESTOSTERONFALLE SOCIAL MEDIA

Wer sich als Mann in sozialen Medien auf die Suche nach Antworten für Symptome wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Stimmungstiefs oder Libidoverlust macht, landet schnell beim Thema Testosteron. Was auf den ersten Blick logisch erscheint, kann im Detail aber trügerisch sein. Immer mehr Männer wenden sich mit Fragen rund um Testosteronmangel an soziale Plattformen und nicht selten ist die Folge eine Selbstdiagnose oder gar ein schneller Griff zur Hormontherapie. 

Laut einer Analyse, die auf dem Kongress der Sexual Medicine Society of North America 2024 vorgestellt wurde, suchen immer mehr Männer Informationen zur Testosterontherapie auf TikTok. Viele dieser Inhalte verschweigen Nebenwirkungen oder suggerieren einfache Lösungen. Die Gefahr ist dann, dass Patient:innen sich erst dann an medizinisches Fachpersonal wenden, wenn Nebenwirkungen bereits eingetreten sind. Da solche Nebenwirkungen auch ästhetische Implikationen haben können, wie Hautbildveränderungen, können auch Praxen mit ästhetischen Schwerpunkt erste Anlaufstelle sein. 

Bitte bedenke, dass viele der kursierenden Empfehlungen auf Social Media einer fundierten medizinischen Grundlage entbehren. Laut den American Urological Association (AUA) - Leitlinien (1) hat sich die Zahl der Testosterontherapien in den letzten Jahren nahezu verdreifacht. Bis zu ein Viertel der Patienten wurde nie getestet, bevor sie mit der Therapie begannen. Und rund ein Drittel erfüllt gar nicht die medizinischen Kriterien für einen Testosteronmangel. Die AUA definiert Werte unter 300 ng/dL als Grenzwert für eine Diagnose. Doch die Referenzwerte schwanken je nach Labor: Quest Diagnostics nennt 250–1100 ng/dL als Normalbereich, LabCorp 264–916 ng/dL. Deshalb empfiehlt die AUA, Testosteron zweimal zu messen: Morgens zwischen 7 und 10 Uhr, wenn die Werte physiologisch am höchsten sind. Zudem reichen 
Symptome allein für die Diagnose nicht. Sie müssen mit den Laborwerten korrelieren, bevor eine Therapie begonnen wird. Ziel der Behandlung ist es dann, den Spiegel in den sogenannten mittleren Bereich (450–600 ng/dL) zu bringen. Denn eine Langzeittherapie mit Testosteron ist keineswegs harmlos und sollte nie leichtfertig begonnen werden.

Wir haben uns daher gängige Mythen angeschaut und fassen hier die Erkenntnisse für Eure Praxis zusammen.

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Mythos 1: "Die meisten Männer haben Testosteronmangel und brauchen Testosterontherapie."

Symptome wie Müdigkeit, Stimmungstiefs oder Libidoverlust können durch zahlreiche andere Ursachen bedingt sein: Schlafmangel, chronischer Stress, Schilddrüsenerkrankungen, Vitaminmangel (z. B. B12, D), Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Viele Patient:innen erleben bereits eine deutliche Besserung, wenn diese Grunderkrankungen behandelt werden: Schaue daher ganzheitlich und versuche, diese Ursache ebenfalls zu adressieren. Bitte beachte auch, dass der häufigste Grund für eine Errektionsstörung vaskuläre Ursachen hat. Studien zeigen, dass Diabetes das Risiko besonders stark erhöht; die Prävalenz liegt deutlich über der in der Allgemeinbevölkerung (2, 3).

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Mythos 2: "Testosteron hilft immer bei Erektionsstörungen."

In manchen Fällen mag das stimmen, aber bei den meisten Männern sind psychologische Faktoren wie Leistungsdruck oder Frustration ebenso wie körperliche Ursachen zunächst zu adressieren. Ein zugeführtes Testosteron steigert zwar das Verlangen, behebt aber nicht zwangsläufig das Problem. Günstige Medikamente wie Tadalafil oder Sildenafil helfen oft zielführender und sicherer.

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Mythos 3: "Männer bekommen kein Testosteron, obwohl sie es bräuchten aus Angst vor Krebs und Herzinfarkt."

Die Sorge vor Prostatakrebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist weit verbreitet, aber aktuelle Studien und die Leitlinien der American Urological Association (AUA) geben uns nun mehr Sicherheit: Diese Risiken sind deutlich geringer als lange angenommen. 

So zeigt eine Studie, die 2023 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde (4), Sicherheit und Wirksamkeit von Testosteronersatztherapie. Bei Männern mit niedrigem Testosteronspiegel führte die Therapie zwar zu einer leichten Erhöhung des kardiovaskulären Risikos, das Risiko war jedoch deutlich geringer als lange angenommen, insbesondere bei sorgfältiger Auswahl und Überwachung der Patientengruppe. Diese Daten relativieren die bisherigen Bedenken und stützen die Aussage, dass Testosterontherapie unter kontrollierten Bedingungen für ausgewählte Patienten sicher sein kann.

Trotzdem bleibt die Zurückhaltung, auch weil viele Männer keine regelmäßigen Untersuchungen wahrnehmen oder ungern über Symptome wie Libidoverlust sprechen. 

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Sprich über Kokain!

Ein sensibles Thema, das Dich aber durchaus in der Praxis konfrontieren kann,  ist der Konsum von Substanzen wie Kokain. Gerade in bestimmten Milieus oder Altersgruppen, in denen ein hohes Leistungs- oder Körperideal vorherrscht, kann der gelegentliche oder regelmäßige Konsum gesellschaftlich normalisiert sein. Das führt dazu, dass dieser Konsum selten von selbst angegeben. Dabei ist die Evidenz eindeutig: Kokain wirkt als starker Vasokonstriktor, schädigt die Gefäßinnenwand, erhöht den Blutdruck und beschleunigt Atherosklerose. Selbst bei jungen, gesunden Männern führt es zu erhöhter arterieller Steifigkeit mit direkten Auswirkungen auf die erektile Funktion (5).


Zudem hemmt Kokain die Stickstoffmonoxid-Synthese, fördert oxidativen Stress im Penisgewebe und verändert die endotheliale Regulation nachhaltig . Die Folge ist eine signifikant reduzierte Fähigkeit zur Vasodilatation und damit zur Erektion. Die American Association of Clinical Endocrinologists stuft Drogenkonsum daher als eigenständigen Risikofaktor für erektile Dysfunktion ein, unabhängig von anderen Vorerkrankungen (6).

Themen, wie der Konsum von Stimulanzien oder Erektionsprobleme, sind maximal sensibler Content. Es erscheint immer einfacher, sich ein wenig Testo-Gel auf die Haut zu schmieren oder mit Kokain den gesellschaftlichen Druck wegzuschnupfen. Schau, dass Du ein Umfeld schaffst, das für solche Themen offen ist. Damit reduzieren wir die Gefahr, dass Informationen über Social Media zugänglicher werden, als über eine ärztliche Praxis. 
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Literaturverzeichnis

1. https://www.auanet.org/guidelines-and-quality/guidelines/testosterone-deficiency-guideline

2. Selvin E, Burnett AL, Platz EA. Prevalence and risk factors for erectile dysfunction in the US. Am J Med. 2007 Feb;120(2):151-7. doi: 10.1016/j.amjmed.2006.06.010. PMID: 17275456.

3. McMahon CG. Current diagnosis and management of erectile dysfunction. Med J Aust. 2019 Jun;210(10):469-476. doi: 10.5694/mja2.50167. Epub 2019 May 17. PMID: 31099420.

4. Lincoff AM et al, Cardiovascular Safety of Testosterone-Replacement Therapy. N Engl J Med. 2023 Jul 13;389(2):107-117. doi: 10.1056/NEJMoa2215025. Epub 2023 Jun 16. PMID: 37326322.

5. Kozor R, Grieve SM et al,  Regular cocaine use is associated with increased systolic blood pressure, aortic stiffness and left ventricular mass in young otherwise healthy individuals. PLoS One. 2014 Apr 9;9(4):e89710. doi: 10.1371/journal.pone.0089710. PMID: 24717541; PMCID: PMC3981670.

6. Guay AT et al; American Association of Clinical Endocrinologists Male Sexual Dysfunction Task Force. American Association of Clinical Endocrinologists medical guidelines for clinical practice for the evaluation and treatment of male sexual dysfunction: a couple's problem--2003 update. Endocr Pract. 2003 Jan-Feb;9(1):77-95. doi: 10.4158/EP.9.1.77. Erratum in: Endocr Pract. 2008 Sep;14(6):802-3.